Mehr Sicherheit für ADHS-Patienten
Medikamenten-Ausweis nach § 4 Abs. 3 BtMG
Der Diagnosestellung der ADHS geht in der Regel eine sorgfältige diagnostische Abklärung voraus, die sich an den Behandlungs- und Diagnoseleitlinien deutscher und europäischer Fachgesellschaften orientieren soll. Das diagnostische Urteil dient als Grundlage für nachfolgende therapeutische Empfehlungen und Entscheidungen.
Da es sich bei der ADHS eher um ein komplexes Syndrom, als um ein klar abgrenzbares Störungsbild handelt,[1][2] kein spezifischer diagnostischer Test existiert[3] und einzelne Testverfahren allein keine hinreichende Spezifität besitzen,[4] ist die Leitliniendiagnostik vergleichsweise aufwändig. Eine bio-psychosoziale Diagnostik der ADHS existiert momentan nicht, da bislang keine Biomarker mit ausreichender Sensitivität und Spezifität existieren.[5]
Laut Manfred Döpfner ist ungewiss, ob ADHS in Deutschland regelmäßig nach Leitlinien diagnostiziert werde. Die Leitliniendiagnostik sei für Ärzte „sehr schwierig“ und „durch Zeitprobleme eingeschränkt durchführbar“.[6]
Die ADHS-Leitliniendiagnostik schließt verschiedene Verfahren ein. Wichtiger Bestandteil ist eine genaue differenzialdiagnostische Abklärung sowie eine umfangreiche Anamnese. Unterbleiben diese Maßnahmen, erhöht dies das Risiko einer Fehldiagnose.
Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten sowie Auffälligkeiten im Lern- und Leistungsbereich ist zunächst der betreuende Hausarzt. Dieser kann aufgrund der gegebenenfalls langen Betreuung des Patienten beurteilen, ob eine weitere diagnostische Abklärung in Richtung ADHS angezeigt ist. Für die weiterführende diagnostische und differentialdiagnostische Abklärung können Neuropädiater, Sozialpädiatrische Zentren, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder klinische Psychologen hinzugezogen werden.
Für die Diagnose der ADHS müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein, die einer ausführlichen differenzialdiagnostischen Abklärung bedürfen. So müssen die vorliegenden Symptome Impulsivität, (Hyperaktivität) sowie unaufmerksames zu deutlichen Beeinträchtigungen in verschiedenen sozialen Bezugssystemen sowie im Leistungsbereich von Schule oder Beruf führen und bereits länger als 6 Monate bestehen.[7] Zudem müssen die Symptome bereits vor dem zwölften Lebensjahr vorhanden gewesen sein. Weiter sollen die Symptome nicht ausschließlich im Rahmen tiefgreifender Entwicklungsstörungen (bspw. Autismus-Spektrum) oder Psychosen auftreten und nicht besser durch andere Störungen erklärt werden können.
Entscheidend ist letztlich die klinische Relevanz der Beschwerden. Da ADHS ein dimensionales Störungsbild ist, dessen Symptome für sich gesehen (in leichter, nicht oder nicht dauerhaft beeinträchtigender Form) in der Bevölkerung weit verbreitet sind, orientiert sich die Diagnose- und Behandlungsbedürftigkeit am jeweiligen Grad der Beeinträchtigung.
Siehe auch: Schweregrade der ADHS-Symptomatik.
Wichtiger Bestandteil jeder ADHS-Diagnostik ist der Ausschluss anderer in Frage kommender Symptomursachen. Andere Ursachen führen jedoch nur dann zum Ausschluss von ADHS, wenn sie alle Symptome des Patienten erklären können, die mit einer ADHS-Symptomatik überlappen. Auch müssen komorbide Symptome abgegrenzt werden.
Als andere Ursachen kommen beispielsweise in Frage:[9]
Im Anschluss an die positiv gestellte ADHS-Diagnose können nach einer eingehenden Psychoedukation des Patienten und seines Umfelds verschiedene Behandlungsmöglichkeiten erwägt werden. Fällt die Diagnose negativ aus, sollten die Ursachen der vorhandenen Schwierigkeiten weiter abgeklärt und eventuelle andere Krankheiten bzw. psychische Störungen oder Problematiken identifiziert und behandelt werden.
Bestehen Zweifel an der Diagnose, sollte gegebenenfalls eine psychiatrische Zweitmeinung eingeholt werden. Dies ist insbesondere dann ratsam, wenn in der ersten Diagnostik offensichtlich unsorgfältig und/oder nicht nach diagnostischen Leitlinien verfahren wurde. Fakultativ können auch weitere diagnostische Maßnahmen ergänzt werden, wie ergotherapeutische/logopädische Begutachtungen, Beobachtung des Verhaltens in diagnostisch-therapeutischen Gruppen, Überprüfung von Sinnesfunktionen (Pädaudiologie, Pädophtalmologie), medizinisch-apparative Labordiagnostik wie EEG, MRT, Schilddrüsenfunktion sowie neurophysiologische Diagnostiken (wie WCS-Test, Zoo-Spiel. FWI-Test etc.)[10]
Zukünftig sollen physiologisch objektivierbare Messmethoden zur diagnostischen Unterstützung eingesetzt werden können.[11][12][13] Als vielversprechend gilt dabei die Diagnostik anhand der Messung eines möglichen Hintergrundrauschens in den Nervenzellen der relevanten Hirnareale potentiell ADHS-Betroffener, wie eine Freiburger Studie des Jahres 2015 bescheinigt.[14] Siehe auch: Augendiagnostik.
ADHS kann beim Patienten nicht ex juvantibus nachgewiesen werden, indem von einer positiven Wirkung etwa von Stimulanzien auf ADHS geschlossen wird, da die Medikamente bei gesunden Menschen ähnliche Wirkungen und Nebenwirkungen haben können.[15] Eine positive Medikamentenwirkung eignet sich deshalb nicht zur Diagnosesicherung. Siehe auch: Diagnosis ex juvantibus.
Zu früheren Zeiten wurden bei ADHS-Patienten, welche Methylphenidat einnahmen, im Gegensatz zu gesunden Menschen paradoxe Reaktionen zu Grunde gelegt. Solche konnten bislang jedoch nicht zuverlässig nachgewiesen werden. Nichtsdestotrotz scheinen solche paradoxen Medikamentenwirkungen bei einem bestimmten Anteil der Betroffenen (Langguth et al. beobachteten 10-20 %)[16][17] und als Reaktion auf bestimmte Substanzen (zum Beispiel Koffein) gelegentlich aufzutreten.
Piero Rossi im Jahr 2003:
„Selbst für den Fall, dass es sich bei der ADHS um eine situationsunabhängige hirnorganische Funktionsstörung handeln würde, welche man zu verschiedenen Zeitpunkten in mehr oder weniger gleicher Ausprägung diagnostisch erfassen könnte, müssten wir mit weiteren Stolpersteinen rechnen. Es existieren meines Wissens keine bewährten und an ausreichend grossen europäischen Stichproben überprüften neuropsychologische Tests oder Testreihen, welche es im klinischen Alltag erlauben, aufgrund eines oder mehrerer positiver Testbefunde mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit eine ADHS zu identifizieren und zugleich genügend sicher von anderen Erkrankungen zu unterscheiden [...].“[22]