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Cannabis und ADHS

Aus ADHSpedia
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Medizinisches Cannabis
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Indikation ADHS, komorbide Depression
Therapieform symptomatisch, medikamentös (off label)
Wirksamkeit noch unzureichend belegt[1]
Weiterführende Infos Weitere Therapie, Medikamente, Methylphenidat, Ginkgo biloba, Koffein

Neben den Möglichkeiten des Genusses oder des Missbrauchs als Rauschmittel, der auch das Risiko einer Abhängigkeitserkrankung bergen kann, kann medizinisches Cannabis mittlerweile auch in Deutschland für die Indikation ADHS sowie für zahlreiche Komorbiditäten (darunter zum Beispiel Depressionen)[2] zu Behandlungszwecken rezeptiert werden. Das Nutzen- und Risikoprofil insbesondere von Methylphenidat und Lisdexamfetamin, aber auch einigen Second Line-Präparaten ist für mindestens 70 % der kombiniert behandelten Patienten jedoch günstiger (und empirisch belegt). Nach Einschätzung der Leitungsgruppe des zentralen ADHS-Netzes überwiegen nach aktuellem Kenntnisstand die gesundheitlichen Risiken dem Nutzen von Cannabinoiden in der ADHS-Therapie „eindeutig“.[3] Ein groß angelegtes, systematisches Review des Jahres 2019 bestätigte diese Einschätzung sowohl für ADHS, als auch für häufige Komorbiditäten.[1]

Nach einem Beschluss des Bundestags von Januar 2017 kann Cannabis direkt von Ärzten rezeptiert werden. Aufgrund der Notwendigkeit einer zulassungsüberschreitenden Verordnung im Falle einer therapierefraktären ADHS müssen jedoch weiterhin sämtliche Kosten von den Patienten selbst getragen werden, sofern die Krankenkassen der Kostenübernahme im Einzelfall nicht zustimmen.

Wirksamkeit bei ADHS

Übersicht der aktuellen Studienlage

Die Studienlage zur Wirksamkeit und Wirkungsweise von Cannabis auf die ADHS-Symptomatik ist noch sehr überschaubar. Während einzelne Untersuchungen Hinweise auf eine mögliche positive Wirksamkeit geben, konnten aktuelle systematische Reviews den Nutzen von Cannabinoiden in der ADHS-Therapie nicht bestätigen.[1]

Im Jahr 2007 wurden im Rahmen einer Untersuchung 4117 Fragebögen ausgewertet, die Patienten in Kalifornien in den Jahren 2001 bis 2007 ausfüllen mussten, wenn sie Zugang zu medizinischem Cannabis erhalten wollten.[4]. In den Anträgen wurden neben Krankheit und Symptomen, gegen die sich die Patienten durch medizinisches Cannabis Linderung erhofften, auch die Substanzen abgefragt, die sie in der Vergangenheit zu sich genommen hatten. Dabei fiel den Forschern auf, dass ein „signifikanter Prozentsatz“ der männlichen Antragsteller unter 30 Jahren in der Kindheit aufgrund von ADHS mit Ritalin oder anderen Stimulanzien behandelt wurden. Ein typisches Konsummuster dieser Patienten war die Einnahme von inhaliertem Cannabis ab dem frühen Morgen in mikrodosierter Form, weshalb die Forscher vermuten, dass es bei dieser Patientengruppe die Konzentrationsfähigkeit verbessere. Im Freitext gemachte Aussagen der Antragsteller, wonach sich die Patienten unter dem Einfluss von Cannabis besser konzentrieren könnten, würden diese These weiter stützen.

Ein Fallbericht der Universität Heidelberg aus dem Jahr 2008 weist darauf hin, dass THC die Aufmerksamkeitsleistung von ADHS-Betroffenen verbessern kann.[5] Laut Bericht konnte in bei einem Probanden eine Regulierung der Aktivierung auf ein mittleres Niveau und damit eine optimale Leistungsfähigkeit im Straßenverkehr erreicht werden. Der Cannabiskonsum verursachte bei dem Probanden keine Defizite hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit. Diese Ergebnisse weisen auf einen positive Wirksamkeit auf die allgemeine ADHS-Symptomatik hin. Die Autoren verweisen zudem auf zwei frühere Studien aus den Jahren 2003[6] und 2006[7], die ähnliche Schlussfolgerungen zulassen.

In einer Studie von Loflin et. al. (2014)[8] wurden 2811 amerikanische Konsumenten von Cannabis anhand der Adult ADHD Self-Report Scales (ASRS)[9] befragt, ob bei ihnen im nüchternen Zustand Symptome der ADHS auftraten. Zudem wurden sie nach ihren Konsummustern befragt und in tägliche und nicht-tägliche Nutzer aufgeteilt. Bei den täglichen Nutzern zeigte sich signifikant häufiger eine ADHS-Symptomatik. Laut den Autoren der Studie stützen die Ergebnisse die Hypothese der Selbstmedikation.

In einer Untersuchung von Grotenhermen und Milz (2015),[10] welche mit 30 erwachsenen Patienten mit therapieresistenter ADHS durchgeführt wurde, konnten bei allen Patienten nach einer Behandlung mit Cannabis Verbesserungen der Gesamtsymptomatik, insbesondere aber hinsichtlich Schlafstörungen, Impulsivität sowie Konzentrationsdefizite festgestellt werden. Dabei wurden 22 Patienten mit Cannabis flos und fünf Patienten mit einem Dronabinol-Fertigarzneimittel behandelt.

In einer qualitativen Studie von Mitchell et. al. aus dem Jahr 2016 wurden Diskussionen in Onlineforen auf Beiträge hin untersucht, die die subjektive Wirksamkeit von Cannabis bei ADHS zum Thema haben. Dafür wurden über eine Google-Suche Threads in Onlineforen gesammelt, in denen das Thema Cannabis bei ADHS diskutiert wurde. Aus diesen Threads wurden 401 individuelle Beiträge extrahiert, von denen 25% beinhalteten, dass Cannabis bei ADHS einen therapeutischen Nutzen habe. In 8% der Beiträge wurde Cannabis als schädlich bei ADHS beschrieben und in 5% der Beiträge sowohl als therapeutisch wirksam, als auch schädlich. In 2% der Posts fand sich die Aussage, dass Cannabis auf ADHS keinen Effekt hätte. In Bezug auf ADHS-Medikation fand sich in 5% der Posts die Aussage, dass Cannabis effektiver sei als herkömmliche Medikation und in 3% der Beiträge, dass Cannabis weniger effektiv sei. Die Ergebnisse der Studie können dahingehend gedeutet werden, dass Cannabis von ADHS-Betroffenen zur Selbstmedikation eingesetzt wird.[11][12][13]

Ein Poster von Milz auf der IACM 9th Conference on Cannabinoids in Medicine (2017)[14] beschreibt Erfahrungen aus der Behandlung von 18 erwachsenen ADHS-Patienten mit Medizinalcannabisblüten. Dabei wurden die Patienten dazu angehalten, mehrmals über den Tag verteilt kleine Dosen zu sich zu nehmen. Diese Form der Einnahme wirkte sich bei den meisten Teilnehmern vorteilhaft aus, ohne dass sich die täglich einigenommene Gesamtdosis erhöhte. Etwa 60% der Patienten berichteten, dass die zusätzliche Gabe von CBD hilfreich sei. Alle Patienten berichteten von einer besseren generellen Lebensqualität unter Einnahme von Cannabis Flos.

Eine Wirksamkeitsstudie zum Cannabis-Präparat Sativex[15][16] wurde von Cooper et. al. im Jahr 2017 veröffentlicht.[17][11] An der randomisierten, placebokontrollierten Studie nahmen 30 Patienten mit adulter ADHS teil. Über einen Zeitraum von sechs Wochen erhielten 15 Patienten Sativex und 15 ein Placebo. Primäres Ergebnis war die Wirkung auf die kognitive Leistungsfähigkeit und und das kognitive Aktivitätslevel, die per QB-Test ermittelt wurde. Sekundäres Ergebnis war die Wirkung auf die ADHS-Symptomatik. Die Autoren erkennen einen Trend hin zu einer positiven Wirkung. Aufgrund des kleinen Samples wurden die Ergebnisse jedoch nicht signifikant. Bei keinem der Teilnehmer führte Sativex zu einer Verschlechterung. Die Studie liefert nach Urteil der Autoren Hinweise darauf, dass Erwachsene mit ADHS eine Untergruppe sein könnten, die nach dem Konsum von Cannabis eine Besserung ihrer Symptome ohne kognitive Einschränkungen erfahren, was die Hypothese der Selbstmedikation stütze.

In einer Studie zur Wirksamkeit von medizinischem Cannabis bei der Behandlung des Gilles de la Tourette Syndroms aus dem Jahr 2017[18] wurden 19 Probanden, die mit medizinisches Cannabis behandelt wurden, zu ihrem Symptomen im nüchternen Zustand und unter Einnahme eines Cannabispräparats befragt. Eine Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter war bei 11 der Patienten als Komorbidität vorhanden. Daher wurden auch Symptome der ADHS anhand der Adult ADHD Self-Report Scales (ASRS)[9] abgefragt. Dabei zeigte sich bei 13 Teilnehmern im nüchternen Zustand ein ASRS-Wert, der die Kriterien für adultes ADHS erfüllte. Während der Behandlung mit einem medizinschen Cannabispräparat zeigte nur noch ein Patient einen ASRS-Wert, der ADHS im Erwachsenenalter nahelegen würde (p < 0.001).

Eine Untersuchung von Milz (2018)[19], an der 37 erwachsene Patienten mit ADHS teilnahmen, thematisiert die gesundheitlichen und sozialen Aspekte einer Therapie mit Cannabis Flos. Während Phasen der Abstinenz wurden von 78% der Patienten relevante Einschränkungen in ihrem Privat-, Sozial- und Arbeitsleben aufgrund ADHS-Symptomatik beschrieben. Die Einnahme von medizinischem Cannabis unter ärztlicher Betreuung ging hingegen mit signifikanten Stabilisierungsprozessen einher. Die Teilnehmer wurden angehalten, die Wirkung medizinischer Cannabisblüten sowie des Fertigarzneimittels Sativex auf die Symptome Aufmerksamkeit, Agitation, Schlafstörungen, Appetit, Stimmung und Impulsivität qua Schulnotenskala zu bewerten. Die Ergebnisse der Erhebung sind konform mit den Erkenntnissen aus der Studie von Cooper et. al. (2017),[11] nach der Sativex die Symptome der adulten ADHS lindern könne.

Ein Fallbericht aus Finnland[13] beschreibt die Behandlung eines Patienten mit adultem ADHS, der über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren mit den Cannabispräparaten Bedrocan und Bediol behandelt wurde. Der Patient berichtet von einer Besserung der ADHS-Symptome geringe Frustrationstoleranz, Langeweile, Wutausbrüche und Konzentrationsprobleme durch Bedrocan. Von Bediol berichtet er eine Besserung seiner Schlafstörungen und Reduktion der Nebenwirkungen von Bedrocan.

In einer retrospektiven Analyse aus dem Jahr 2019 zur Wirksamkeit von cannabisbasierten Medikamenten (CBMs) in der Behandlung des Gilles de la Tourette Syndroms[20] wurde zusätzlich untersucht, wie sich diese auf vorhandene Komorbiditäten auswirken. Von den 34 Patienten, die ADHS als Komorbidität aufwiesen, berichteten 34% von einer Besserung ihrer Symptome durch CBMs. Dabei berichteten 53% derer, die mit Cannabis Flos behandelt wurden, von einer Besserung. 33% berichteten von einer Besserung durch Nabiximols, 25% von einer Besserung durch Dronabinol und 15% von einer Besserung durch "Straßencannabis".

In einer israelischen Studie des Jahres 2020[21] untersuchten Hergenrather et. al., ob Patienten mit ADHS, die aufgrund einer Komorbidität medizinisches Cannabis erhalten, ihre bestehende Medikation verändern oder ganz einstellen. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer änderten die bestehende Medikation, während etwa ein Drittel diese ganz einstellten. Signifikant häufiger wurden bestehende Medikamente abgesetzt, wenn die Dosis der Cannabinoide hoch oder die Stärke der ADHS-Symptome gering war. Zudem konnte eine Korrelation festgestellt werden zwischen geringen ADHS-Symptomen und der Konzentration des Cannabinoids CBN (Cannabinol). Nach Ansicht der Autoren deuten die Ergebnisse darauf hin, dass medizinisches Cannabis von Patienten als Ersatz für herkömmliche ADHS-Medikamente eingesetzt werde und dass neben THC und CBD noch weitere Stoffe der Cannabis-Pflanze ihre Wirksamkeit bei ADHS beeinflussten.

Wirkungsweise bei ADHS

Verschiedene Studien, welche die Wirksamkeit von Cannabinoiden auf die ADHS-Symptomatik untersucht haben, machen deutlich, dass sich die Wirkungen von Cannabinoiden bei ADHS-Betroffenen von denen nicht betroffener Konsumenten zu unterscheiden scheinen, was eine Beteiligung des zentralen Cannabinoidenrezeptorsystems an der Pathologie der Störung nahelegt. Die genauen Mechanismen, die für die postulierte, atypische Wirkungsweise von Cannabinoiden bei Betroffenen verantwortlich sind, bedürfen jedoch noch weiteren Untersuchungen.

Einstellung, Applikation und Dosierung

Cannabis-Präparate sind in Deutschland in unterschiedlichen Rezepturen und Applikationsformen verfügbar, beispielsweise als Sublingualspray, in Kapselform oder als Cannabis-Blüten. Eine konsensbasierte Leitlinie zum medizinischen Einsatz von Cannabis existiert bislang jedoch nicht.[22]

Franjo Grotenhermen schlägt für die Einstellung in der ADHS-Therapie ein gemeinsam mit dem behandelnden Arzt abgestimmtes Titrationsverfahren mit zunächst THC-reichen Cannabis Flos (etwa Bedrocan) vor. In der Regel kann mit niedrigen Dosierungen des zu inhalierenden Präparats begonnen werden, beispielsweise mit einer viermaligen Einzeldosis von 50 mg Cannabisblüten bei einer Tageshöchstdosis nicht über 500 mg. In einem zweiten Schritt kann bei ADHS-Patienten ein Wechsel zu Präparaten mit ausgewogenem CBD-/THC-Gehalt versucht werden. Als Maßstab für die optimale Dosis gilt dabei stets die Verbesserung der Gesamtsymptomatik.

Aufgrund der zumeist einsetzenden Toleranzentwicklung sind über längere Zeiträume meist deutliche Dosissteigerungen notwendig, bei langjähriger Einnahme gar auf mehrere Gramm täglich. Laut Grotenhermen kann eine Toleranzbildung möglicherweise etwas verzögert werden, wenn bei regelmäßiger Einnahme auf standardisierte Cannabisblüten mit äquivalenter Cannabinoid-Zusammensetzung zurückgegriffen wird. Auf diese Weise könnten oftmals über längere Zeiträume konstante Dosen ohne signifikante Wirksamkeitsverluste beibehalten werden.

Wenngleich manche Patientengruppen die bei THC-haltigen Cannabinoiden auftretende Nebenwirkung eines Rauschzustands (High) als angenehm empfinden, so ist dieser weder das therapeutische Ziel, noch ein Indikator für eine positive Wirksamkeit. Eine therapeutische Wirkung kann auch bereits mit geringen Dosierungen ohne das Auftreten eines Rauschzustands erreicht werden.

Nebenwirkungen, Risiken und Suchtpotenzial

Nebenwirkungen

Cannabis als Arzneimittel hat vergleichsweise wenige und milde Nebenwirkungen. Die Gesundheitsrisiken sind auch bei Überdosierung gering.

Cannabis-Dauerlutscher (cannabis sativa mit erhöhtem CBD-Gehalt, Kirschgeschmack) aus einer kalifornischen Ausgabestelle

Zu den bekannten psychischen Nebenwirkungen, die akut auftreten können, zählen insbesondere Sedierung, Euphorie bzw. ein akutes „High", Missstimmung, Gefühl des Kontrollverlustes, Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, (Verstärkung von) Depressionen oder halluzinationsartige Empfindungen.[23] Als körperliche Nebenwirkungserscheinungen können daneben eine trockene Mundschleimhaut, Muskelstörungen, Schwierigkeiten beim Sprechen, gesteigerte Herzfrequenz, Blutdruckabfall mit Schwindel oder Kopfschmerzen auftreten.

Zu beachten ist, dass akute Nebenwirkungen sehr von den verwendeten Dosen abhängig sind. Sämtliche Nebenwirkungen können zudem auch entsprechend des gegenwärtigen psychischen Zustands des Patienten verstärkt auftreten. Ohne spezifische Therapie klingen die akuten Nebenwirkungen meist innerhalb weniger Stunden, seltener nach wenigen Tagen wieder ab. Bei ADHS lässt sich zudem meist eine Dosis finden, die ausreichend wirksam ist, aber noch keinerlei psychische Nebenwirkungen (bspw. in Form eines akuten Highs) verursacht.

Im Weiteren wird aktuell diskutiert, ob chronischer Cannabiskonsum bei vulnerablen Personen eine länger anhaltende psychotische Episode auslösen kann. Das Entwicklungsrisiko in der Gesamtbevölkerung liegt gemäß einer australischen Studie bei 1 %[24]

Todesfälle, die in einem Zusammenhang mit Cannabis-Konsum stehen, sind bislang nicht dokumentiert.

Toleranzentwicklung und Abhängigkeitspotenzial

Für eine Vielzahl der Cannabis-Wirkungen ist die Entwicklung einer Toleranz beschrieben, die mit der Dauer der Cannabisverwendung zunimmt. Im Rahmen der Langzeittherapie ist daher mit fortschreitender Einnahme mit einem stetig steigenden Cannabisbedarf zu rechnen.

Im Weiteren besitzt Cannabis insbesondere dann, wenn es chronisch zu Rauschzwecken eingenommen wird, ein Abhängigkeitspotenzial. Das körperliche Abhängigkeitspotenzial gilt als ähnnlich hoch wie das des Koffeins.[25] Dabei können bei Abstinenz sowohl psychische Symptome (Angst, Schlaflosigkeit, Unruhe) als auch körperliche Symptome (Durchfall, Speichelfluss) auftreten. Für Patienten, die chronisch mit Medizinal-Cannabis behandelt wurden, wurden Entzugssymptome bislang allerdings nicht beschrieben.

Laut einer Patienteninformation der Kassenärztlichen Bundesvereinigung seien bisher noch keine Fälle einer psychischen Abhängigkeit durch Cannabistherapie bekannt geworden. Die vorliegenden Daten würden aber keine Aussagen darüber erlauben, ob Cannabis-Medikamente abhängig machen.[26]

Präparate

Die erstmalige Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Verwendung eines Cannabis-Extrakts erteilte das BfArM im Jahr 2007. Mittlerweile sind zahlreiche Fertigarzneimittel mit Cannabis-Wirkstoffen rezeptierbar.

Nabiximols

Hauptartikel: Nabiximols

Sativex - ein Sublingualspray mit dem Wirkstoff Nabiximols

Das Fertigarzneimittel Sativex ist ein Mundspray, das sich aus Nabiximols, einer Pflanzenextraktmischung aus Blättern und Blüten der Hanfpflanze Cannabis sativa L, zusammensetzt. Zur Anwendung wird das Spray auf die Innenseite der Wange gesprüht; das Tetryhydrocannabinol (THC) wird dann über die Mundschleimhaut resorbiert. Sativex ist in mehreren europäischen Ländern zur Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen, wenn Patienten nicht ausreichend auf eine andere Therapie angesprochen haben. In Deutschland ist Sativex seit Juli 2011 verfügbar.

Nabilon

Hauptartikel: Nabilon

Cesamet (1mg) Kapseln

Nabilon ist ein Derivat des Δ9-Tetrahydrocannabinols, das in Deutschland per Betäbungsmittelrezept für die Indikationen Anorexie und Kachexie bei AIDS-Patienten sowie als Antiemetikum für mit Bestrahlungstherapie behandelte Krebspatienten zugelassen ist, jedoch seit 1991 per Einzelimport aus den USA oder Kanada bezogen werden muss.

Nabilon wurde im Jahr 1975 von Eli Lilly and Company als Tranquilizer und Antiemetikum patentiert. Seit 1983 kann es in Deutschland rezeptiert werden.[27]

In den USA sowie in Großbritannien wird Nabilon unter dem Handelsnamen Cesamet vertrieben, in Österreich ist es als Canemes rezeptierbar.

Dronabinol

Hauptartikel: Dronabinol

Marinol (5mg) Kapseln

Dronabinol ist ein teilsynthetisch produziertes THC, das bislang in Deutschland nicht zugelassen ist und ausschließlich per Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG aus den USA oder Kanada bezogen werden kann. Dort ist es unter dem Handelsnamen Marinol erhältlich. Seit 1983 kann Dronabinol in Deutschland rezeptiert werden.[28]

Aufgrund gesetzlicher Vorschriften muss Dronabinol aus THC-armem Nutzhanf teilsynthetisch produziert werden, indem Cannabidiol extrahiert und anschließend in THC umgewandelt wird, was die Herstellung des Präparats sehr teuer macht.

Dronabinol wird meist als Rezeptursubstanz für Kapseln oder als Tropfen zur oralen Einnahme verschrieben.[29]

Medizinal-Cannabisblüten

Rezeptierte Cannabis flos (Bedica von Bedrocan)

Medizinal-Cannabisblüten (lat. Cannabis flos) sind in Varianten mit verschiedenen THC (Δ9-Tetrahydrocannabinol)- und CBD-Nenngehalten rezeptierbar Während ein höherer THC-Gehalt analgetisch (schmerzlindernd) und psychotrop wirkt, führt ein höherer CBD-Gehalt weniger zu einem Rauschgefühl und kann zur Linderung von Entzündungen, Krämpfen, Ängsten sowie Übelkeit eingesetzt werden.

Kosten

Nach einem Beschluss des Bundestags im Januar 2017 sind Cannabis-haltige Arzneimittel in Ausnahmefällen, etwa bei ausgeschöpften First- und Second-Line-Optionen, durch die Krankenkassen erstattungsfähig.[30]. Die Krankenkassen müssen über die Erstattung jeweils im Einzelfall innerhalb von drei Wochen entscheiden. Der Preis pro Gramm beläuft sich auf ca. 22 Euro.[31] Grund dafür ist die derzeitige Einstufung als Rezepturarzneimittel.[32] So kann beispielsweise bei rezeptierten Cannabis flos mit monatlichen Kosten in Höhe von mehreren hundert Euro gerechnet werden.

Ein Eigenanbau von Cannabis ist ohne Ausnahmegenehmigung nicht gestattet. Bislang ist in Deuschland nur vereinzelt Anträgen auf Selbstanbau stattgegeben worden.

Kritik

Martin Winkler äußerte sich kritisch über den Einsatz von medizinischem Cannabis bei ADHS. Zu bedenken gab er die bislang dürftige Studienlage, die noch kein Bild über das Risikopotential der Behandlungsalternative mit Cannabis ermöglicht. Er selbst sei der Meinung, dass es „keine sinnvolle Idee“ sei, „das entwicklungsverzögerte und ohnehin vulnerable ADHS-Gehirn mit Cannabis zu belasten“.[33] Er bezweifle in vielen Fällen, dass die therapeutischen Optionen bei Third-Line-Therapieversuchen mit Cannabis tatsächlich ausgeschöpft sind.

Ein groß angelegtes, systematisches Review, dessen Untersuchung 83 Studien beinhaltete, wurde im Jahr 2019 veröffentlicht.[34] Die Autoren schlussfolgern, dass sich der Nutzen, bzw. das Nutzen-Risiko-Profil von Cannabinoiden für ADHS und andere psychiatrische Erkrankungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung oder Depressionen aufgrund der aktuell minderwertigen Datenlage nicht seriös beurteilen lasse. Laut Urteil der Autoren sei anzunehmen, dass die Risiken von Cannabis-Anwendungen dem Nutzen derselben überwiegen. Ein nachfolgendes Review des Jahres 2020 stellte heraus, dass weiterhin Unklarheiten in Bezug auf den Nutzen und das Nutzen-/Risikoverhältnis in der psychiatrischen Behandlung mit Cannabinoiden bestehen würden.[35]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-019-2409-8
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24923339?dopt=Abstract
  3. https://www.zentrales-adhs-netz.de/fileadmin/redakteure/dokumente/stellungnahmen/STN_ADHS_Cannabis.pdf
  4. Long term marijuana users seeking medical cannabis in California (2001–2007): demographics, social characteristics, patterns of cannabis and other drug use of 4117 applicants.
  5. Fallbericht Universität Heidelberg; Rechtsmedizin - Cannabis verbessert Symptome der ADHS
  6. Adriani W, Caprioli A, Granstrem O, Carli M, Laviola G. The spontaneously hypertensive rat as an animal model of ADHD: evidence for impulsive and non-impulsive subpopulations. Neurosci Biobehav Rev 2003;27:639-651.
  7. Aharonovich E, Garawi F, Bisaga A, Brooks D, Raby, WN, Rubin, E, Nunes EV, Levin FR. Concurrent cannabis use during treatment for comorbid ADHD and cocaine dependence: effects on outcome. Am J Drug Alcohol Abuse 2006;32:629-635
  8. Subtypes of attention deficit-hyperactivity disorder (ADHD) and cannabis use.
  9. 9,0 9,1 https://www.hcp.med.harvard.edu/ncs/asrs.php
  10. http://cannabis-med.org/nis/data/file/abstractbook.pdf
  11. 11,0 11,1 11,2 Cannabinoids in attention-deficit/hyperactivity disorder: A randomised-controlled trial - Volltext
  12. Medicinal cannabis for psychiatric disorders: a clinically-focused systematic review
  13. 13,0 13,1 Medical Cannabis for Adult Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Sociological Patient Case Report of Cannabinoid Therapeutics in Finland
  14. Treatment with Cannabis Flowers in adult ADHD
  15. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/study/NCT02249299
  16. http://www.alternative-drogenpolitik.de/2016/02/05/sativex-studie-zu-cannabis-als-medizin-bei-adhs-abgeschlossen/
  17. Cannabinoids in attention-deficit/hyperactivity disorder: A randomised-controlled trial - Publikation
  18. Preliminary Evidence on Cannabis Effectiveness andTolerability for Adults With Tourette Syndrome
  19. https://www.researchgate.net/publication/331630315_Social_and_curative_aspects_of_treatment_with_Cannabis_flowers_in_adult_ADHD
  20. https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/can.2018.0050
  21. Cannabinoid and Terpenoid Doses are Associated with Adult ADHD Status of Medical Cannabis Patients
  22. http://www.alternative-drogenpolitik.de/2016/04/16/leitlinie-zum-einsatz-von-cannabis-als-medizin/
  23. für nachfolgenden Absatz vgl. http://cannabis-med.org/index.php?tpl=page&id=35&lng=de&sid=e262374922d43f421d5b64e4ebeb0e37
  24. http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/076-005.htm
  25. Gable, R. S. (2006): Acute toxicity of drugs versus regulatory status. In: J. M. Fish (Ed.), Drugs and Society: U.S. Public Policy, Lanham, MD: Rowman & Littlefield Publishers, S.149-162, Diagramm S. 155.
  26. Patienteninformation der Kassenärztlichen Bundesvereinigung – Gesundheitsinfos Cannabis als Medizin
  27. http://www.cannabis-med.org/index.php?tpl=page&id=58&lng=de
  28. http://www.cannabis-med.org/index.php?tpl=page&id=58&lng=de
  29. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/fileadmin/nrf/PDF/1-Dronabinol.pdf
  30. http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-01/cannabis-rezept-medizin-krankenkasse-arzt-legal
  31. https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/cannabis-verordnung-was-beachten-2032620
  32. https://hanfverband.de/faq/wie-teuer-ist-medizinisches-cannabis-aus-der-apotheke-wie-wird-es-in-den-apotheken-verarbeitet
  33. http://news.doccheck.com/de/blog/post/5565-medizinischer-einsatz-von-cannabis-bei-adhs/
  34. https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(19)30401-8/fulltext
  35. https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-019-2409-8